alltagsmeditationen

Die Kunst des Nicht-Wissens

Wittgensteins Ausweg aus dem Fliegenglas. 

 Als Ludwig Wittgenstein seinen Tractatus schrieb, hatte er gehofft, durch Rückgriff auf die einfachsten Bausteine der Welt eine ideale Sprache zu finden, die geeignet wäre, unsere moderne Welt wissenschaftlich auszudrücken. Mit den Jahren reifte jedoch in ihm die Überzeugung, dass diese Sprache nur wenig mit unserer Alltagsrealität zu tun hat. So musste er in seinem Spätwerk Philosophische Beschreibungen feststellen: 
Wie seltsam, wenn sich die Logik mit einer „idealen“ Sprache befasst und nicht mit unserer!“
  
Und es kamen ihm Zweifel, ob die Logik überhaupt in der Lage sei, unsere Wirklichkeit zu erklären. In seinen Philosophische Untersuchungen finden wir folgenden nachdenklichen Satz:   

"Wir wollen etwas verstehen, was schon offen vor unsern Augen liegt. Denn das scheinen wir, in irgendeinem Sinne, nicht zu verstehen.“ 

 Diese Überlegung war ihm Anlass genug, seine philosophische Arbeit grundsätzlich zu überdenken:  

Was ist das Ziel der Philosophie? - Der Fliege den Ausweg aus dem Fliegenglas zu zeigen“.  

Im übertragenen Sinne: Dem Menschen muss geholfen werden, seinem selbst erschaffenen Fliegenglas zu entkommen. Dieses Fliegenglas ist eine unvermeidbare Folge des dualistischen Objektdenkens. Wittgenstein versucht, dieses Problem anhand des Schmerzens verständlich zu machen:

Wir alle kennen Schmerzen aus eigener Erfahrung, wir wissen, wie sich Schmerz anfühlt, was Schmerz bedeutet. Weil wir aber niemals die Schmerzen des Anderen selbst erleben können, werden wir über seine Schmerzen nichts wissen. Wir können nicht einmal sicher sein, ob der Andere überhaupt Schmerzen erleidet. Wir können es nur vermuten. Indem wir das tun, entwickeln wir Mitleid. Rational gesehen wären wir dazu nicht verpflichtet, weil der Schluss auf Schmerzen des Anderen immer nur eine Vermutung bleibt. Wittgenstein: 

"Das Mitleid, kann man sagen, ist eine Form der Überzeugung, dass ein anderer Schmerzen hat.“

Das rationale Denken hält den Menschen in seinem Solipsismus gefangen. Genau das ist die Schattenseite der ansonsten hoch geschätzten Naturwissenschaft: Sie macht uns alle zu Solipsisten. Die Schmerzen des anderen anzuerkennen, bedeutet seine Überwindung.  
 

Detlef B. Bartel

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