alltagsmeditationen

Die Kunst des Nicht-Wissens

Meditation I - Die Frage der Identität.  

 Unser Geist lässt sich weder wahrnehmen noch verstehen. Versuchen wir es trotzdem, indem wir in uns hineinschauen, dann stellt sich ein schwer zu beschreibendes Gefühl ein, das am ehesten einem grauen Nichts gleicht. Wir können uns keinen Reim daraus machen und wissen nichts damit anzufangen. Doch verbirgt sich dahinter unsere ursprüngliche geistige Identität, das, was Seung Sahn den leeren Geist oder auch den Punkt vor dem Denken nannte.

Was wäre über diesen Geist zu sagen? Was seine Form angeht, so müssen wir schweigen. Ihm können keine objekthaften Eigenschaften zugewiesen werden. Ähnlich den Ideen George Berkeleys, die auch nur negativ zu definieren waren. Obwohl alles vom Geist - wir würden heute eher vom Bewusstsein sprechen - abhängt, bleibt er sich selbst fremd. Der Geist ist leer, er ist nichts Objektives, kein Etwas und als solches weder zeitlich noch räumlich einzuordnen. Obwohl nun von diesem leeren Geist so gar nichts Anziehendes auszugehen scheint, scheuen wir keine Mühe, mit diesem Nichts in Kontakt zu kommen. Und wenn sich endlich nach langer Zeit der Schleier lichtet und den leeren Geist zu erkennen gibt, so geht diese Erfahrung nicht unbedingt mit einem erhebenden Gefühl einher, was angesichts der dargestellten Situation auch nicht verwunderlich ist.

Andererseits sollte sich die Mühe lohnen. Auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen, der leere Geist ist das Gute. Anfänglich mag er sich immer wieder entziehen, am Ende führt er uns in die Soheit, die Wirklichkeit-an-sich, von der Thich Nhat Hanh zu berichten weiß:

„Mit der Soheit in Berührung sein ist wie das Ausheben eines Brunnens bis zu dem Punkt, an dem sich das Wasser von selbst seinen Weg bahnt.“ (3)

Und Meister Eckhart gibt allen, die auf der Suche sind, folgendes Versprechen:

„Und was zuvor du suchtest, das sucht nun dich; wem zuvor du nachjagtest, das jagt nun dir nach; und was zuvor du fliehen mochtest, das flieht nun dich.“ (40)

So sollten auch wir nicht nachlassen, dem Guten nachzujagen, solange bis das Gute uns jagt.

Wenn wir nach der geistigen Identität suchen, so darf Identität nicht mit dem verwechselt werden, was wir normalerweise für unser Ich oder Selbst halten. Meditation führt geradewegs in die entgegensetzte Richtung. Die tief verwurzelte Überzeugung eines im Mittelpunkt stehenden Ich, um das sich alles dreht, soll mithilfe der Meditation korrigiert werden. Die Vorstellung von einem zentralen Ich hat Ähnlichkeit mit der Sonne im Zentrum des Sonnensystems. Wir brauchen und lieben Konzepte vertrauter Naturbilder, um uns im Leben und in der Welt zurechtzufinden. Das ist nachvollziehbar, für die Meditation aber in diesem Fall kontraproduktiv, führt doch der Vergleich mit dem Sonnensystem zu einer Festigung des Ich-Gedankens. Für die Meditation wäre ein alternatives Konzept vorzuziehen.

Zum Beispiel physikalische Felder, die unter dem Begriff der Feldtheorien zusammengefasst werden. Felder, wie das Gravitationsfeld der Sonne, sind ihrer Natur nach ausgedehnt und haben im Gegensatz zu Objekten keinen definierten Ort. Das sind Eigenschaften, die dem Bewusstsein näher zu sein scheinen als einem zentralen Ich. Das Schwerefeld der Sonne bildet mit den Planeten ein ganzheitliches System, ähnlich wie ja auch das Geistige und das Körperliche untrennbar miteinander verbunden sind. Könnten wir nun wählen, womit wir uns identifizieren, mit dem Schwerefeld oder mit der Sonne, würden wir uns wahrscheinlich für die Sonne entscheiden. Zumal wir es lieben, im Mittelpunkt zu stehen. Das entspricht durchaus unserer anthropozentrischen Einstellung. Wollten wir dagegen dem geistigen Teil unseres Wesens den Vorzug geben, so würde sich das Gravitationsfeld als bessere Wahl anbieten. Dann würde das Ich zum Raum werden, es löste sich sozusagen im Raum auf. Um im Bild zu bleiben, alles, was wir erleben, seien es Formen, Farben, Geräusche, Gefühle oder Gedanken, würde dann dieses Feld, diesen Raum durchziehen wie Planeten und Sterne das Weltall. 

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